Der Green Deal der EU-Kommission ist aktuell heiß diskutiert und verspricht Großes für die biologische Vielfalt in Europa. Doch ist er wirklich ein Game-Changer für die Lebensmittelsicherheit? Das diskutierte Mitte September die österreichische Initiative „Our Health“ im großen Podium in Bad Schallerbach: Schüler:innen und Interessierte trafen zusammen, um Einblicke von hochkarätigen Expert:innen aus Politik, Forschung und Wirtschaft zu gewinnen.
„Die Initiative Our Health ist eine Plattform für Diskurs auf allen Ebenen. Heuer wollen wir gemeinsam über den in der Gesellschaft und in Medien, teils zurecht, kritisch betrachteten Green Deal diskutieren. Wir bieten hier einen Rahmen, um ihn auf sachlicher, wirtschaftlicher und politischer Ebene zu analysieren“, eröffneten die Initiatoren Lukas Hader, Geschäftsführer des Biotech-Unternehmens Multikraft und Dr. Bernhard Zauner, Arzt für Allgemeinmedizin und Homöopathie, den Tag im Atrium Bad Schallerbach. Im Zentrum der beiden Diskussionen standen der Antibiotikaeinsatz in Österreich sowie das EU-Renaturierungsgesetz.
Diskutiert wurde von Wissenschaftler:innen Univ.-Prof. Dr. med. vet. Annemarie Käsbohrer (Leitung Lebensmittelwissenschaften und Öffentliches Veterinärwesen an der Veterinärmedizinischen Universität Wien), Dr. Karl Bauer (ehemaliger Geschäftsführer des Tiergesundheitsdienst Steiermark), Dr. Michael Sulzner (BMSGPK) und Univ.-Prof. Dr. med. univ. Tadeusz Peter Panhofer (Professur für Komplementärmedizin an der Sigmund Freud Universität Wien). Auf politischer Seite kamen DI Dr. Arthur Kroismayr (Landesobmann der Freiheitlichen Bauernschaft), Carina Reiter (ÖVP, Jugendsprecherin), Markus Hofer (NEOS, Finanzreferent im Vorstand), LAbg. Mario Haas (SPÖ, Bereichssprecher für Landwirtschaft) und Bgm. Mag. Rudi Hemetsberger (Landtagsabgeordneter und Landwirtschaftssprecher der Grünen) zu Wort.
„Entscheidend wird das politische Leadership und die Bekennung zur Transformation sein“
Der Green Deal soll Europa bis 2050 zum ersten klimaneutralen Kontinent machen: Große Motoren sind vor allem die nachhaltige Lebensmittelproduktion und Verarbeitung, der Konsum und die Ernährungssicherheit. Gerade Lebensmittel, die nicht nachhaltig sind, führen laut Michael Sulzner zu einer steigenden, hohen Belastung der Gesundheitssysteme. Neben diesen Herausforderungen stehe in Österreich auch der Verlust biologisch produktiver Flächen im Vordergrund. Hier gehen täglich fast 11 Hektar pro Tag verloren, zusätzlich knapp 6 Tonnen Boden durch Erosion. Hinzu kommen Bauernsterben und Landflucht. Gleichzeitig herrsche, insbesondere im Lebensmitteleinzelhandel, eine starke Marktkonzentration; nur vier Händler halten hierzulande einen Marktanteil von 91 Prozent. Es brauche eine systemische Veränderung hin zu einem widerstandsfähigen und nachhaltigen EU-Lebensmittelversorgungssystem. „Entscheidend wird das politische Leadership und die Bekennung zur Transformation sein. Wir brauchen einen ‚Whole of Government‘-Ansatz und damit zumindest auch die Einbindung des Bildungs-, Wirtschafts- und Finanzressorts. Es braucht einen Maßnahmenmix und stetigen Dialog mit allen Akteur:innen, um gesunde und nachhaltige Lebensmittelumfelder sicherzustellen“, so Sulzner in seiner Keynote.
„Mehr als 70.000 Menschen sterben jährlich aufgrund von Antibiotikaresistenz“
In der ersten Diskussionsrunde beleuchteten Univ.-Prof. Dr. Annemarie Käsbohrer, Dr. Karl Bauer, Dr. Michael Sulzner und Univ.-Prof. Dr. Tadeusz Peter Panhofer den Einsatz von Antibiotika bei Mensch und Tier. Käsbohrer startete die Diskussion mit dem Ziel des Green Deals, den Einsatz von Antibiotika um 50 Prozent zu reduzieren. Gerade in Österreich gäbe es beispielsweise aber schon lange ein Verbot des Einsatzes von leistungsfördernden Antibiotika. Das neue Tierarzneimittelrecht führe zu starken Einschränkungen in der Prophylaxe und einem generell starken Bewusstsein für den Medikamenteneinsatz und die Gesunderhaltung der Tiere. Es müssen individuell, je nach Land, Informationen gesammelt und analysiert werden, welche Maßnahmen wo notwendig seien. Tiergesundheit, besonders in der Nutztierhaltung, müsse auch mit Wirtschaftlichkeit einhergehen.
Dr. Karl Bauer ergänzte, dass die Minimierung des Antibiotikaeinsatzes nicht nur etwa mit Impfungen, sondern auch mit Wissen und modernen Haltungssystemen erreicht werden könne. Deshalb sei der Bildungsauftrag umso wichtiger. „Wir arbeiten vor allem diagnostisch, um zu wissen, worum es sich handelt, welche Probleme es gibt oder nicht gibt. Schlussendlich prüfen wir genau, ob Antibiotika überhaupt notwendig sind“, erklärt Bauer. Man dürfe auch das zoonotische Potenzial von Krankheiten nicht vergessen. Das sei häufig der „Missing Link“. Es brauche eine stärkere Zusammenarbeit der Human- und Veterinärmedizin, um Wissen interdisziplinär auszutauschen, all das dürfe man nicht den Bäuerinnen und Bauern allein überlassen. Vor allem plädierte sehr eindringlich Bauer für die wichtige universitäre Ausbildung: „Gemäß EU-Bioverordnung 2018/848 sind Homöopathie und Phytotherapie bevorzugt anzuwenden, bevor konventionelle Medikamente wie Antibiotika in Biobetrieben unter bestimmten Bedingungen zum Einsatz kommen. Daher ist auch eine universitäre Ausbildung in Homöopathie und Phytotherapie absolut notwendig.”
Tadeusz Peter Panhofer brachte Aspekte aus der Humanmedizin mit ein. Antibiotika werden laut dem Chirurgen deshalb so häufig eingesetzt, weil sie so gut wirken. Das Problem sei jedoch, dass viele prophylaktisch verabreicht werden. Dadurch steige die Antibiotikaresistenz: „Schätzungen zufolge starben 2014 weltweit rund 70.000 Menschen aufgrund von Antibiotikaresistenz. Bis 2050 wird die Zahl voraussichtlich auf rund 10 Millionen Menschen steigen – das ist mehr als an Krebs“, warnte er. Zusätzlich gäbe es das Problem, dass der Mensch aus 30 Billionen Körperzellen bestehe, aber viel mehr, nämlich 38 Billionen, Bakterien im Körper hat. Diese übernehmen mehr Funktionen als Körperzellen selbst: „fakultativ pathogene“ Bakterien im Darm stimulieren beispielsweise das Immunsystem. Es brauche ein Umdenken. Ziel müsse es sein, bei leichten Infekten vorrangig mit dem Mikrobiom, Kräutern, Komplementärmedizin und der Ernährung zu arbeiten und nur bei schweren Verläufen zu einer Antibiotikatherapie zu greifen.
„Nicht der Klimaschutz, sondern der Klimawandel ist das Problem der Landwirtschaft“
Politisch diskutierten DI Dr. Arthur Kroismayr, Carina Reiter, Markus Hofer, LAbg. Mario Haas und Bgm. Mag. Rudi Hemetsberger. Das Renaturierungsgesetz sei jener Bereich, der aktuell am heißesten diskutiert wird. „Das Renaturierungsgesetz ist richtig und wichtig. Wir sehen, dass große Wassermassen nicht mehr aus können und wir einen Weg finden müssen, wo wir diese hinleiten können. Und das am besten in natürliche Bereiche und nicht in die heimischen Keller“, betonte Mario Haas.
Carina Reiter schloss an, dass es sich beim Green Deal um das Programm der vorigen EU-Regierung handle und es jetzt an der neuen Kommission läge, ihn im Clean Industrial Deal fortzusetzen. Als positives, greifbares Beispiel nannte sie die Implementierung des Fairnessbüros, um unfaire Handelspraktiken bei Kleinbetrieben zum großen Teil aufzuzeigen. Das Problem sei aber vor allem die Bürokratie. Hier müsse man künftig stärker in den Dialog gehen.
Markus Hofer hob die gemeinsame Vision hervor. Es müssen die Vorteile für jede:n Einzelne:n eines klaren Plans in der Bekämpfung des Klimawandels hervorgehoben werden. Den Green Deal in Zukunft auch als Industrial Deal zu sehen, sei der richtige Weg: „Der Green Deal ist nicht nur sinnvoll, sondern notwendig. In der Umsetzung fehlt es bisher aber am Verständnis, was Industrie und Unternehmen brauchen. Es braucht Planungssicherheit. Beispielsweise bereits Beschlossenes nochmal zu diskutieren, treibt besonders Start-ups, und damit Innovation, in den Untergang“, erklärte er.
Rudi Hemetsberger betonte, dass der Klimawandel die größte Herausforderung der Menschheitsgeschichte sei. „Es geht nicht mehr nur um Klimawandelverhinderung, sondern bereits auch um Klimawandelanpassung“, betonte er. Nicht der Klimaschutz sei das Problem der Landwirtschaft, sondern der Klimawandel. „Erkennen wir nicht die Zeichen der Zeit und springen wir nicht auf den Zug Klimaschutz auf, gehen wir wortwörtlich unter“, schloss er ab.
„Die Bürokratie ist in familiengeführten Betrieben nicht umsetzbar“
Arthur Kroismayr warnte vor der Konkurrenz aus dem EU-Ausland, die sich nicht an EU-Regeln halten müsse. „Die EU-Kommission setzt sich hohe Ziele, die Umsetzung ist für die Landwirtschaft aber der Untergang“, warnte er. Flächen stilllegen zu müssen, habe enorme Auswirkungen auf die Produktivität. Carina Reiter ergänzte, dass den großen Zielen wenig Dialog vorausging. Es gäbe vieles, das in familiengeführten Betrieben nicht umsetzbar sei. Das betreffe vor allem die Bürokratie. Hier müsse die künftige Kommission die Bäuerinnen und Bauern stärker einbinden. Ein Stichwort sei ökosoziale Marktwirtschaft – es müsse alles ineinandergreifen: „Das sind Herausforderungen, die man nur gemeinsam anpacken kann. Demokratie lebt von Kompromissen“.
„Heimische Mühlen mahlen zu langsam“
Abschließend ergriff nochmal Initiator Lukas Hader das Wort und appellierte an die Diskutant:innen und Gäste: „Wir haben in Österreich schon viel im Bereich der nachhaltigen Landwirtschaft erreicht, dennoch ist noch viel zu tun und die heimischen Mühlen mahlen zu langsam. Ich befürchte, so viel Zeit haben wir nicht mehr. Wir brauchen rechtliche Rahmenbedingungen, die uns zum schnellen Handeln bewegen“.