Seit den Neunzigerjahren werden in Österreich im Grund- und Trinkwasser Antibiotika und Pestizidrückstände sowie multiresistente Keime festgestellt – mit verheerenden Folgen. Auf Initiative von Arzt für Allgemeinmedizin und Homöopathie Bernhard Zauner und Lukas Hader, Geschäftsführer von Multikraft diskutierten am 10. September 2021 Vertreter*innen aus der Politik, Landwirtschaft und Industrie sowie Human- und Veterinärmedizin rund um den Antibiotikaeinsatz und den Eintrag von Pflanzenschutzmitteln. Darunter etwa Landesrat Stefan Kaineder; Vizepräsident der LK OÖ Karl Grabmayr; Olga Voglauer, Die Grünen, Abgeordnete zum Nationalrat und Maria Pein, Vizepräsidentin der LK Stmk.
Die Folgen von Antibiotika- und Pestizidrückständen sowie multiresistenten Keimen im Wasser sind dramatisch. Allein im Jahr 2015 starben 33.000 Menschen in der Europäischen Union, weil ihnen kein Antibiotikum mehr half. Die „Farm2Fork“-Strategie sieht als Teil des Europäischen Green Deals vor, dass der Antibiotikaeinsatz und der Eintrag von Pflanzenschutzmitteln bis zum Ende des Jahrzehnts halbiert werden. Denn: Nur mit gesunden Böden und gesunden Tieren gibt es auch gesunde Lebensmittel für uns Menschen. Aber sind Biolebensmittel die einzige Lösung? Sind diese überhaupt für alle leistbar? Und welchen Anteil kann eine bessere Zusammenarbeit zwischen konventionellen und integrativen Landwirt*innen, Ärzt*innen und Tierärzt*innen erzielen? Darüber sprachen am 10. September Politik, Medizin, Wirtschaft und Industrie am runden Tisch in Pichl bei Wels.
Komplementärmedizin als Lösungsansatz in der Antibiotikaresistenzproblematik
Die Antimikrobielle Resistenz (AMR) ist ein globales Problem der öffentlichen Gesundheit. Sie ist für Todesfälle und Komplikationen bei der Behandlung verantwortlich [1] [2] [3]. Öfters wird die Zahl von weltweit 700.000 Todesfällen im Jahr genannt [4]. Darüber hinaus haben AMR-bedingte Todesfälle und Folgebehandlungen erhebliche negative Auswirkungen im sozialen Bereich wie auch auf die Wirtschaft und das Gesundheitssystem [5] [6]
Besorgniserregend ist die Tatsache, dass seit 1987 keine wichtige neue Antibiotikawirkstoffklasse entdeckt wurde und zu wenige antibakterielle Wirkstoffe in der Entwicklung sind, um der Herausforderung der Multiresistenz zu begegnen [7] . Gleichzeitig ist zu beobachten, dass etablierte herkömmliche Antibiotika zunehmend einer Verknappung unterliegen und/oder vom Markt genommen wurden [8] [9]
Das internationale Forschungsprojekt zu One Health „Netzwerk T&CM (Traditionelle und Komplementärmedizin): Globale Initiative für traditionell medizinische Lösungsansätze gegen antimikrobielle Resistenz (GIFTS-AMR)“ wurde bereits 2017 mit der 4. JPIAMR (Joint Programming Initiative on Antimicrobial Resistance) und jüngst im Rahmen der 10. JPIAMR fortgeführt.Studien haben gezeigt, dass IM (Integrativmedizin)/ T&CM-Praxen und Krankenhäuser niedrigere Antibiotika-Verschreibungsraten und geringere Resistenzraten im Vergleich zu konventionellen Praxen haben. Die Erfolge basieren auf zusätzlichen Strategien zur Prävention und Behandlung von Infektionen. Der Review des Forscherteams (Baars et al) aus 2019 bestätigte das Potential der Komplementärmedizin hinsichtlich Reduktion der Anwendung von Antibiotika.
Im Sinn von One Health setzt sich das Forscherteam aus 33 internationalen Experten der Bereiche Human- und Veterinärmedizin, Pharmazie, Biologie und anderen zusammen. Österreich ist vertreten durch Prof. Dr. Peter Panhofer von der Sigmund-Freud-Universität, Ao.Univ.-Prof. Dr. Michael Frass vom Österreichischen Dachverband für Ärztliche Ganzheitsmedizin und Dr. Petra Weiermayer von der Österreichischen Gesellschaft für Veterinärmedizinische Homöopathie (ÖGVH) und der Wissenschaftlichen Gesellschaft für Homöopathie (WissHom).
Dr. Petra Weiermayer, Ao.Univ.-Prof. Dr. Michael Frass, Dr. Thomas Peinbauer und Dr. Liesbeth Ellinger, zwei Humanmediziner und zwei Veterinärmedizinerinnen, haben einen narrativen Review nach dem One Health-Prinzip erstellt, der mit dem Titel „Evidenzbasierte Veterinär-/Homöopathie und ihre mögliche Bedeutung für die Bekämpfung der Antibiotikaresistenzproblematik – ein Überblick” verfasst, der 2020 in einem konventionellen „peer-reviewed journal“ publiziert wurde.
Dringende Integration der Komplementärmedizin
Nicht zuletzt aufgrund der weltweiten Bedrohung durch die Antibiotikaresistenzproblematik bedarf es in der integrativen Human- und Veterinärmedizin dringend weiterer methodisch hochwertiger Studien. Voraussetzung für die Qualitätssicherung weiterer Forschung ist, dass sie an universitären Einrichtungen durchgeführt wird. Das wiederum erfordert die Integration der Komplementärmedizin inklusive Homöopathie an den Universitäten. Diese unabdingbaren Schritte im Interesse der Patienten und der Gesundheitssysteme sind international bereits mehrfach verankert, etwa in den USA durch die Consensus Guidelines zur universitären Fortbildung in der integrativen Veterinärmedizin oder in der Schweiz gemäß dem Medizinalberufegesetz für Unterricht und Forschung an der Universität.
Die Europäische Union hat längst erkannt, dass wesentliche Problemlösungen nur unter Einsatz komplementärmedizinischer Methoden realisierbar sind, und entsprechende Maßnahmen gesetzt. So ergeben sich aus dem Europäischen Grünen Deal und seiner Teilstrategie „Farm2Fork“ oder der EU-Bio-Verordnung 2018/848 folgende konkrete Erfordernisse:
- Reduktion des Antibiotikaeinsatzes EU-weit um 50 % bis 2030
- Steigerung des Anteils der Biobetriebe in der EU von 8 auf 25 % bis 2030
- Gesetzliche Verpflichtung zur bevorzugten Nutzung von Homöopathie und Phytotherapie in Biobetrieben vor Einsatz konventioneller Medikamente inklusive Antibiotika
Zusätzlich zu den ökologischen Vorteilen der Komplementärmedizin, sind auch ökonomische zu nennen: Bei Erkrankung eines lebensmittelliefernden Tieres sind bei konventionell medizinischen Behandlungen zumeist Wartezeiten einzuhalten, d.h. es muss je nach eingesetztem Medikament eine gewisse Zeitspanne verstreichen, bis vom behandelten Tier wieder Lebensmittel gewonnen werden dürfen. In biologisch wirtschaftenden Betrieben ist diese Wartezeit gegenüber den konventionellen Betrieben zudem zu verdoppeln. Wartezeiten führen somit zu wirtschaftlichen Belastungen für landwirtschaftliche Betriebe. Homöopathische Arzneimittel hingegen verursachen keine Wartezeiten, belasten weder das Tier noch das Lebensmittel noch die Umwelt mit Rückständen und bringen folglich zusätzlich zum ökologischen Vorteil für uns alle einen ökonomischen Vorteil für die / den LandwirtIn.
All das zeigt, die Anwendung dieser und anderer komplementärmedizinischer Fachdisziplinen und das Praktizieren integrativer Human- und Veterinärmedizin als „Best Practice“Kombination konventioneller und komplementärmedizinischer Therapieverfahren ist jedenfalls zukunftsweisend.
Our health – Plattform für Bewusstseinsbildung und Diskurs
Der „European One Health Action Plan“ der EU-Kommission, der sich mit der Antibiotikaresistenzproblematik befasst, fordert mehr Forschung nach weiteren therapeutischen Optionen. Laut WHO bezeichnet „One Health“ (eine Gesundheit) den Ansatz zur Gestaltung und Umsetzung von Programmen, die auch im Rahmen von Politik, Gesetzgebung und Forschung realisiert werden. Vorausgesetzt wird dabei, dass mehrere Sektoren miteinander kommunizieren und zusammenarbeiten. Das Ziel ist es, bessere Ergebnisse für die öffentliche Gesundheit zu erzielen. Bemühungen nur eines Sektors können Probleme wie die Antibiotikaresistenzproblematik nicht verhindern oder beseitigen. Notwendig sind Kommunikation, Koordination und Kollaboration aller Beteiligten auf Augenhöhe.
Die Initiative „Our health – gesunder Boden, gesundes Tier, gesunder Mensch“ verfolgt das Ziel, eine Plattform für den konstruktiven, faktenbasierten Diskurs zwischen den unterschiedlichen Stakeholder*innen zu schaffen und in weiterer Folge gemeinsam Lösungsansätze zu erarbeiten. „Die neu gegründete Initiative ‚Our health‘ will die Problematik der Antibiotika- und Pestizidrückstände im Grund- und Trinkwasser ganzheitlich betrachten und dabei Expert*innen der verschiedensten Disziplinen die Möglichkeit bieten, miteinander in Austausch zu treten. Denn: Ein gesunder Boden, gesunde Tiere und gesunde Menschen bewegen sich in einem Kreislauf, der nicht voneinander zu trennen ist“, so die Initiatoren Bernhard Zauner und Lukas Hader unisono.
Forderung nach verbesserter Vergütung der Landwirt*innen
Trotz unterschiedlicher Ansätze und politischer Positionen herrschte bei den Diskutant*innen in einem Punkt Einigkeit: Alle müssen an einem Strang ziehen. Die Human- und Veterinärmedizin. Die konventionelle und die komplementäre Medizin. Und die Landwirtschaft – nicht nur für unser aller Gesundheit, sondern auch um die Landwirtschaft in Österreich voranzutreiben. Dafür gilt es Bewusstsein für die aktuelle Lage zu schaffen und die richtigen Maßnahmen zu setzen. Als einer der ersten Punkte auf der Agenda steht die Vergütung der Landwirt*innen. Vizepräsident der Landwirtschafskammer Oberösterreich Karl Grabmayer meint dazu: „Ich bin überzeugt davon, dass Österreichs Landwirtschaft alles kann. Doch am Ende des Tages braucht es dafür die entsprechende Entlohnung und die passenden Preise, die diese Produktion ermöglichen – unabhängig der landwirtschaftlichen Ausrichtung ob biologisch, integrativ oder konventionell.“
Seit 1995 verdienen die heimischen Landwirtschaftsbetriebe das gleiche, wie Hannes Royer, Obmann des Vereins „Land schafft Leben“ in seinem Impulsvortrag festhält. „Durch die Initiative ‚Our Health‘ ist es gelungen eine Plattform für alle Beteiligten zu schaffen, denn sie holt sie sprichwörtlich auf einen Tisch. Nur so kann es gelingen, die kleinstrukturierte, österreichische Landwirtschaft zu fördern, die Gesundheit von Boden und Tiere zu erhalten und damit auch für uns alle ein gesundes Essen auf den Tisch zu bringen“, so Landesrat Stefan Kaineder.
„Our health“: Impulsvorträge und Diskussionsrunden
Eröffnet wurde die Veranstaltung vom oberösterreichischen Landesrat Stefan Kaineder (Die Grünen) und Karl Grabmayr, dem Vizepräsidenten der oberösterreichischen Landwirtschaftskammer. Es folgten Impulsvorträge beispielsweise von: Petra Weiermayer, Fachtierärztin für Homöopathie und Präsidentin der Österreichischen Gesellschaft für Veterinärmedizinische Homöopathie; Erfried Pichler, Arzt für Allgemeinmedizin; Michael Ridler, Fachtierarzt für Veterinärhomöopathie und Phytotherapie und Maria Pein, Vizepräsidentin der Landwirtschaftskammer Steiermark.
Im Anschluss widmete sich die erste Diskussionsrunde unter der Gesprächsleitung von „Land schafft Leben“-Obmann Hannes Royer dem Thema „Spannungsfeld Landwirtschaft und Konsument“. Es sprachen u.a. Petra Wimmer, SPÖ, Mitglied des Konsumentenschutzausschusses und Landwirtschaftsausschusses; Karin Doppelbauer, NEOS, Mitglied des Konsumentenschutzausschusses und Landwirtschaftsausschusses; Gerald Aichinger, Landwirt und Lebensmittel-Unternehmer.
Ein weiteres Panel widmete sich unter der Moderation von Kurt Frühwirth, Präsident der Österreichischen Tierärztekammer, schließlich dem Thema „Antibiotikaresistenzen. Wo stehen wir in Österreich, was können wir beitragen und sind geforderte Antibiotika verzichtbar?” Darüber diskutierten: Peter Schmiedlechner, FPÖ, Mitglied des Gesundheitsausschusses und Umweltschutzausschusses; Olga Voglauer, Die Grünen, Stellvertretende Klubobfrau, Abgeordnete im Nationalrat, Sprecherin für Land- und Forstwirtschaft & Volksgruppen; Daniela Burgstaller, ÖVP, Landwirtschaftskammerrätin, Wirtschaftspädagogin; Lukas Markus, Obmann Geflügelgenossenschaft Österreich.
Abschließend hält Lukas Hader fest: „Es ist deutlich hervorgegangen, dass alle das gleiche Ziel verfolgen. Nämlich die Erhaltung und den Schutz unserer Landwirtschaft. Dies ist allerdings nur möglich, wenn sich das Einkommen der Landwirt*innen verbessert. Ansonsten können wir die Qualität unserer regionalen Landwirtschaft in den kommenden 20 Jahren nicht halten.“
Die Veranstaltung war ein voller Erfolg und zeigt, dass trotz unterschiedlicher Ansätze ein gemeinsamer Weg möglich ist. Der Auftaktveranstaltung werden noch viele weitere Veranstaltungen folgen – ganz im Sinne von Our Health! Hier können alle Vorträge der Veranstaltung nochmals nachgesehen werden.
In der Presse:
Oberösterreichische Nachrichten „Gesunde Lebensmittel brauchen gesunde Böden”